Handgedacht

Präsenz und Entäußerung Zu den Zeichnungen von Andreas Steffens

Carl-Peter Buschkühle (Professor für Kunstpädagogik an der Universität Gießen)

Die Blätter haben Substanz. Von Grund auf sind sie in ihrem Material sorgfältig gewählt mit einem Gespür für die Eigenschaft der Stoffe. Der solide Zeichenkarton in durchweg einheitlichem Maß schafft den Bildraum, auf dem sich meist die drei gleichen Protagonisten bewegen. Ein jeder von ihnen mit einem eigenen Charakter und alle drei zusammen in der Kräftekonstellation eines zeichnerischen Tanzes verbunden.

Da ist die energische Bleistiftlinie. In der weiten Leere umschreibt sie einen Binnenraum, in dem die beiden anderen Lineaturen agieren. Sie tut es meist in freiem Schwung, der Akzente der Grafitspur setzt und zwischendurch sich auflöst, abhebt, den Raum offenlässt. In diesem Kraftzentrum unternimmt der Pinselstrich seine Setzung. Er bildet die Erdung, obgleich auch er schwebt. Etwas Aquarellfarbe, Kaffee, Rotwein bilden seine Substanz. Er tut, was er tun kann, genauso, wie die Bleistiftstriche, die zusammen mit ihm auftreten. Sie ziehen ihre Spuren, geführt durch die zeichnende Hand. Er trocknet und entwickelt dabei feine Binnenstrukturen geronnener Partikel, und er fasert aus an den Rändern, Strukturen seiner Küstenlinie, die sich bisweilen ins umgebende Papier vortasten. Der Pinselstrich wird umspielt von der Schwester der schwingenden, den Raum verortenden Bleistiftlinie. Hier sind die Bewegungen des Stiftes zart, verspielt. Wie an ein Gravitationszentrum gebunden, bewegen sie sich im Feld des Pinselstrichs und beschreiben hier suchende, tastende, mäandernde, tanzende Bewegungen, die absetzen und wieder anheben, sich ineinander und umeinander drehen, verschlingen, winden und entfalten. Bewegungsspuren eines Stromerns der Linie, die sich selbst spürt.

Die Zeichnungen von Andreas Steffens bilden nichts ab. Sie sind konkrete Wirklichkeit, in der die Materialien sind, was sie sind und dies zur ästhetischen Wirkung bringen, ebenso wie die Bewegungen, die sie gezeichnet ausdrücken, nichts anderes sind als sie selbst. So wenig, wie sie anderes bezeichnen, sind sie subjektiver Ausdruck des Autors. Vom ersten Strich an ist er nicht mehr alleiniger Herr dessen, was nun geschieht. Was sich unter seinem Auge auf dem Blatt entwickelt, sagt von sich aus, was es will. Dem hat der Künstler, in einer gewissen Spannweite seiner Möglichkeiten, zu folgen, soll das Werk gelingen. Die Zeichnungen entstehen intuitiv. Wäre es nicht so, erreichten sie nicht ihre Lebendigkeit. In der Intuition des Künstlers verdichtet sich jedoch unausgesprochen aber offen sichtlich seine Kenntnis des Materials, seine Beherrschung der Technik, sein Gespür für die Form. Die Zeichnungen von Andreas Steffens sind so reine Präsenz dessen, was sich in ihnen abspielt und zugleich Entäußerung dessen, der sie gemacht hat. Im Machen gerät der Künstler außer sich und durchspielt dabei im Augenblick etwas Grundsätzliches, was der Betrachter nachschaffend erfahren kann. In den Worten von Andreas Steffens, dem Künstlerphilosophen, selbst ausgedrückt: „ … jeder künstlerische Prozess ist die mikrokosmische Wiederholung des Prozesses des Menschseins, das sich als eine unendliche Abfolge von Werdensvorgängen vollzieht. … Deshalb ist die Genese des Werkes zugleich die Entstehung des Künstlers. Indem er etwas hervorbringt, wird er für sich selbst wirklich“ (Andreas Steffens 2001).